Auf dem Weg in ihre Überwinterungsquartiere ist alljährlich im Herbst und im Frühjahr das Niedersächsische Wattenmeer ein willkommener Rastplatz für Millionen von Zugvögeln. Die Ornithologen entlang der Küste haben aus dieser Reiswelle ein eigenes Event für Touristen kreiert: Willkommen zu den Zugvogeltagen!
Autor: Werner Menzel
Fotos: werner-menzel.de
Vogelfreunde haben im Oktober entlang der gesamten Küste beste Chancen auf Sichtungen großer Schwärme von Austernfischern, Säbelschnäblern, Alpenstrandläufern, Löfflern, Nonnengänsen, Löffelenten und vielem mehr. Insbesondere in den frühen Morgenstunden und gegen Sonnenuntergang lohnt der Weg zum Strand oder zu einer der zahlreichen Beobachtungstürme, auf denen die Vögel aus der Nähe und trotzdem ohne Störung zu beobachten sind.
Höhepunkte im Herbst und Frühling
Die über 10 Millionen gezählten Wattenmeervögel sind natürlich nicht alle gleichzeitig an der Küste. Einige bleiben nur wenige Tage, die meisten jedoch für Wochen oder Monate im Wattenmeer. Viele von ihnen sind aber auch den größten Teil des Jahres vor Ort. Jahreszeitliche Höhepunkte des gefiederten Geschehens sind im April und Mai, wenn sich Millionen von Vögeln im Wattenmeer auf den Abzug in die arktischen Brutgebiete vorbereiten und Fettreserven anfressen. Der zweite Höhepunkt des Vogelzuges ist der Spätsommer und Herbst, wenn die Vögel aus der Arktis wieder ins Wattenmeer kommen. Das ist dann die Zeit der Zugvogeltage, die sich seit über 15 Jahren als feste Größe etabliert haben. Während einige der gefiederten Gäste im Watt überwintern, ziehen die meisten Vögel nach einiger Zeit weiter zu südlicheren Küsten. Ein sehr wichtiges Überwinterungsgebiet für sie ist die westafrikanische Küste in Mauretanien.
Zugvogeltage als Touristenmagnet
Die Organisatoren der Zugvogeltage im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer veröffentlichen alljährlich ein sehr informatives Buch zu „Faszination und Verantwortung“ für die Vögel im Wattenmeer. Hier erfahren Besucher der Veranstaltungen auch Näheres zu den einzelnen Events während der Veranstaltungsreihe. Die Zugvogeltage bieten mit über 250 Veranstaltungen eine hervorragende Gelegenheit, den Vogelzug zu erleben und sich mit den besonderen Leistungen und Anpassungen der Zugvögel zu beschäftigen. Vogelfreunde erleben unter der Schirmherrschaft von Professor Dr. Klaus Töpfer interessante Veranstaltungen und viele ganz neue Ideen zwischen dem Dollart und der Unterelbe auf dem Festland sowie auf den Inseln zwischen Borkum und Wangerooge.
Greetsiel als Startpunkt
Ein guter Ausgangspunkt für vielfältige Exkursionen und Beobachtungen ist das kleine Örtchen Greetsiel im der Krummhörn. Während im Sommer hier die Krabbenkutter und der malerische Hafen sowie die Zwillingswindmühlen die Touristen anziehen, hat sich der Ort im Herbst zu den Zugvogeltagen als Startpunkt für ornithologische Ausflüge einen Namen gemacht. Neben vielen festen Beobachtungspunkten im Umland, wie dem Vogelturm am Speicherbecken Neßmersiel, den man nach einer knappen Stunde Fahrt erreicht, ist besonders eine Fahrt mit dem Motorschiff Graf Edzard I. ab Greetsiel zu empfehlen. Das Schiff fährt durch das Naturschutzgebiet Leyhörn und der an Bord mitfahrende Ornithologe ist ein kompetenter Ansprechpartner zur Bestimmung der Zugvögel, aber auch zur Geschichte der Leybucht.
Mit dem Kutter hinaus
Eine weitere Kutterfahrt, wenn auch in einem ganz anderen Lebensraum, ist besonders zu empfehlen, wenn man nicht nur die Küste und das Wattenmeer, sondern auch das Land entlang der Ems erleben will. Dazu starten wir am Hafen des kleinen Fischerörtchens Ditzum am Dollart – etwa 35 Kilometer südlich von Greetsiel. Der Traditionskutter „Heike“ wird vom gemeinnützigen Verein „Ostfriesische Krabbenkutter e.V.“ unterhalten. Dieser Verein bietet nach Voranmeldung während der Zugvogeltage Beobachtungsfahrten durch das Naturschutzgebiet Unterems bis hinunter zum Ems-Sperrwerk an. Während der 90minütigen Tour sind neben den klassischen Zugvögeln oft auch Reiher und Fischadler aus nächster Nähe zu beobachten.
Reich gedeckter Tisch im Watt
Zurück an der Küste gilt es schließlich noch zu erkunden, mit welchen Leckereien sich die Zugvögel (und natürlich die standorttreuen Artgenossen) sich stärken und Kräfte für Weiterflug bzw. den bevorstehenden Winter anfressen. Dazu geht es unter fachkundiger Leitung hinaus ins Watt. Bei Ebbe in den frühen Morgenstunden erleben wir hier, wie der reichgedeckte Tisch mit Muscheln, Wattwürmern und Krabben von den gefiederten Gästen angenommen wird.
Ein besonders beliebter Startpunkt für eine solche Wattwanderung ist der Trockenstrand in Upleward, einem kleinen Örtchen etwa 15 Kilometer südlich von Greetsiel. Kompetent begleitet werden diese Wanderungen von Mitarbeitern des Nationalparkhauses Greetsiel. Sie sind es auch, die nach der in dieser Jahreszeit schon recht kühlen Tour eine passende Station für den wärmenden Grog oder einen traditionellen Pharisäer benennen können. Hier bleibt dann auch Zeit, in Ruhe die Beobachtungen draußen im Watt noch einmal Revue passieren zu lassen.